ZaunköniG                           Substantive

* 1972                                                    Tenzone mit „Medusa

© beim Autor

 

 

 

Medusa:

 

Es ist beim Texte schreiben und verzieren

sehr schwer, am Substantiv vorbeizukommen,

weils besser hilft, präzise, nicht verschwommen,

Gelesenes halt leichter zu kapieren.

 

Doch hüte dringend sich geneigter Dichter

vor Endungen auf –ive, -ion, -heiten,

den –ungs, den –äts und andren Scheußlichkeiten,

denn ohne bleibt der Text viel klarer, schlichter.

 

Entbehrlich sind abstrakte Substantive,

die toten Konstruktionen inklusive,

weil sie die Leser, Hörer nur verwirren.

 

Drum greife zu den echten, den konkreten,

die, Bildern gleich, die Sinnlichkeit vertreten,

weil sie die Reime elfengleich umschwirren.

 

 

 

Antwort von ZaunköniG

 

 

Wer schreibt, um was auch immer auszudrücken,

kommt schwer daran vorbei konkret zu werden.

Man kann sich sinnlich oder stark gebärden,

kann tänzelnd vor und seitwärts rücken. -

 

Wer es geschickt beginnt, dem kann gelingen

sich zu beweisen: unverdinglicht bleibe

was nur erdacht ist, fließend, was er schreibe

und unbegreiflich. Wunderbar, so singen

 

zu können, einvernehmlich hinzugleiten...

Wer wollte denn da ernsthaft noch bestreiten

was uns verzaubert: Elfengleich gereimt,

 

geradezu ätherisch, traumverloren,

so habe ich mich also dem verschworen,

was da so unscharf und substanzlos keimt.

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Adjektive

* 1972                                                    Tenzone mit „Medusa“

© beim Autor

 

Medusa:

 

Oh Dichter, hört, was ich soeben lese:

Das Adjektiv, es gäbe einzig Masse,

es brächte Silbenanzahl, keine Klasse,

sei Füllwort, Blähung, ausnahmslos Gewese.

 

Es fiele leicht, dies Füllsel auszutauschen.

Das Substantiv wär sprachlich kultivierter,

der Klartext kläng gezielter, nicht gezierter,

die Texte sollten tunlichst sich nicht bauschen.

 

Ein brausend, wilder Wind erwächst zum Sturme,

ein glänzend langes Tier verkommt zum Wurme,

zum Abendrot wird rosagoldnes Licht,

 

zum Knoten Haares zarte, feine Krone.

Ich frag euch was: Geht’s allen Ernstes ohne?

Wer liebt es nicht, das Beiwerk im Gedicht?

 

 

 

Antwort von ZaunköniG

 

 

Braucht es denn dieses Beiwerk im Gedicht?

Der Lackmustest wird zeigen: Geht's auch ohne?

Zu Tressen flicht man auch des Hauptes Krone

von Gold. Der Abendröte Glamourlicht

 

braucht nicht das Adjektiv als Wurmfortsatz.

Man muß das Füllsel nicht einmal vertauschen.

Kein Mehrwert bringt's den Text so aufzubauschen:

Ein Wind kann auch Orkan sein; Sturmeshatz

 

bringt man so auf den Punkt. Sag auch: Taifun,

Tornado, Trombe, Lüftchen oder Brise.

Auch ohne Atribute zuzutun

beschreiben Substantive, so wie diese

was Sache ist. Grammatik-Ungetüme

braucht's nicht, hat man (wie oben) Synonyme.

 

 

 

ZaunköniG                                                   Vincent van Gogh

* 1972                                                                                   Sonnenblumen für Gaugin

© beim Autor

 

 


Wie sich dies satte Goldgelb aufwölbt, kreist,

wahrhaftig im Erblühen und vergehen,

wird auch noch manches andre Bild entstehen.

Nimm jedes einzelne als ein Beweis

für meine Freude, die genauso strahlt

und Dich in meinem Heim willkommen heißt.

 

Sie sind noch etwas skizzenhaft; Du weißt.

Ich habe sie in einem Zug gemalt

bevor sie welken. Kräftig und doch sacht,

hab ich sie mehr gelebt als denn gemacht

Beinahe fügen sie sich selbst zusammen:

Hier nur getupft und dort ein kurzer Schwenk, -

 

Ich staune selbst, wie aus dem Handgelenk

die Striche leichterhand das Bild entflammen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Studie über den Anapäst

* 1972

© beim Autor

Ein Versuch darf es sein, aber kein Manifest. -

Man bemüht wohl als erstes sein Vokabular;

Die Begriffe im richtigen Rythmus sind rar,

als da wär: Liebelei, Anatom, Almagest...

 

Ein Gedicht daraus aufzubau'n erstmal als Test,

zu Beginn mit zwei schwächeren Silben, dann par

excellence seine Stimme zu heben... Gefahr

liegt darin; noch zu ungewohnt der Anapäst.

 

Auch der Leser hat andere Metren im Ohr

und so stolpert er leicht, doch damit er nicht stürzt

setzt man möglichst nicht zu viele Einsilber vor

seinen ersten Begriff, der auch Sinn trägt, dann würzt

auch ein unorthodoxes Konstrukt deinen Vers

- wie ein Daktylus, hier allerdings mal invers.

 

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Bernadette Soubirous

* 1972

© beim Autor

"Man könnte Bernadette als Verrückte

belächeln, doch es geht mit ihr schon täglich

so viel Volk mit zur Grotte. Ist es möglich,

daß sich Maria vor der Welt versteckte,

die Priester und den ganzen Klerus neckte

und sich dem Hirtenmädchen offenbart?

 

Das Volk sieht nichts, das sich ums Wunder schart.

Woher hat sie den Namen Unbefleckte

Empfängnis?

Als sie mir den Titel nannte,

den hier im weiten Umkreis niemand kannte,

war ich erschüttert und ich beuge

mich ihrer Reinheit. Ja! Mit einem Mal

war ich bekehrt. Ich, Pater Peyramale,

Ich sah sie nicht und wurde doch ihr Zeuge!

 

 

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Märtyrer

* 1972

© beim Autor

Beeindruckend sind die Geschichten, gefährlich

mitunter, was andere aus ihnen schließen.

Für etwas sein eigenes Blut zu vergießen,

kann leicht überzeugen: Das Opfer ist ehrlich

 

und oft wirkt es mächtiger als Argumente.

Gelegentlich kann man's, wie bei Katharina in

verklärten Legenden als einer Dienerin

des Glaubens erkennen: verblendet

 

das Märtyrerbildnis vom Heiligenscheine.

Am Todesmut kann sich die Masse berauschen;

Beweggründe sind dabei leicht zu vertauschen.

 

Der Märtyrer, ein echter Archetyp, hat ja

schon universellen Charakter: Hypatia

so untadelig wie Katharina "die Reine".

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Carl Strathmann: Frühling

* 1972                                                    gesehen in der Landesgalerie Hannover

© beim Autor

 

Der Frühlingsanfang geht unaufgeregt und leise

hoch über diesen dunklentoten Tann hinweg.

Hier wolkt er auf, dort blitzt ein blauer Fleck;

Ein morscher Lattenzaun schlägt eine Schneise.

 

Wie eine Blutspur hingekleckst der Mohn,

führt tiefer in dien Fichtenwald, wo 's niemals tagt.

In eigne Finsternisse eingeigelt stakt

dort Stamm an Stamm, - und hitzig lodert schon

 

der krume Frühjahrstracht: Sie brennt wie ein Geschwür,

das droht, daß es im Nu den ganzen Walt entfacht -

Wie jeder Hauch in diesen Wipfeln ächzt und kracht!

 

Der Lenz, der Lenz ist da und fordert die Gebühr:

Gemächlich schreitet er den dürren Forst entlang

und nicht nur ein Stamm unter seinen Schritten schwankt.

 

 

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Frakturen

* 1972                                                    Tenzone mit Claudia Sperlich

© beim Autor

 

 

Claudia Sperlich:

 

Zehn Jahre war die Schädeldecke alt

und ging kaputt, als sie zu Boden fiel.

Man wäre langsam schneller an sein Ziel

gekommen, und mit einem sanftern Halt.

 

Die Speiche war schon dreizehn, als sie brach

durch Prahlerei und Leichtsinn. Kinderei.

Danach trotz Leichtsinn lang verletzungsfrei.

Mit fünfundvierzig folgt die Schulter nach.

 

Ich hab den Katastrophenplan erfüllt,

Fortuna hat genug mich angebrüllt,

und was jetzt folgen mag, soll mich nicht schrecken.

 

Die erste Hälfte Leben ist vorbei,

die meisten Knochen blieben ganz dabei.

Den nächsten Bruch wird wohl die Erde decken.

 

 

 

Antwort von ZaunköniG

 

Ich will nicht prahlen; ich bin nicht gesunder

als andre Leute. Hier ein Zipperlein,

da stellt sich Durchfall, dort die Grippe ein;

doch nimmt es, wenn ich mich so umschau, Wunder,

 

daß ich mir bisher nicht die Knochen brach.

"Das Risiko gibt erst dem Leben Würze",

sagt mancher; - ich beobachte die Stürze

und gehe meines Wegs gemach, gemach.

 

Okay, ich hatte manchmal einfach Dusel,

wenn Werners Köter seine Zähne fletschte, -

auch fällt man auf die Füße unter Fusel,

hab keine auf dem Fußballplatz zergrätschte

Gebeine im 3D-Motorik-Puzzle:

200 Teile und ein paar gequetschte.

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Der Troll

* 1972                                                    Tenzone mit Claudia Sperlich

© beim Autor

 

 

ZaunköniG:

 

Du hältst dich selbst wohl für besonders schlau -

Gedichte und so'n affektierter Kram.

Du ödest mich so an, du bist so lahm...

Jetzt zeige ich dir mal die bunte Sau!

 

Nicht wahr? In Dir steckt auch dies kleine Luder,

mit Geilheit, die noch größer als die Scham.

Na? kitzelts dich, wenn ich so red? bekam

die Maske Risse unterm prüden Puder?

 

Ich rühr noch etwas weiter in der Pampe;

Du liebst doch auch das Spiel mit etwas Dreck.

Du kleiner Fickfrosch du, du geile Schlampe,

dich nehme ich anal, gleich hier vom Fleck!

 

Nun trau dich schon, sei bloß nicht so verklemmt.

Es schreibt sich anonym ganz ungehemmt!

 

 

Claudia Sperlich:

 

Du armer Troll, es mag dich keiner leiden!

Kein Mensch, der denkt, und keiner, der nur fühlt.

Man hat vielleicht dich einst zu heiß gespült,

und nun kannst du an nichts als Schmutz dich weiden.

 

Vergeblich hast du lang im Dreck gewühlt,

da das, was du beförderst, andre meiden.

Von dir muß alles Kluge weinend scheiden,

vor dir ist alles Liebe abgekühlt.

 

Nicht daß ich irgend einen Trollgroll hege!

Ich bin zuweilen regelrecht geduldig,

und weiß, daß jeder Mensch im Grunde schuldig.

 

Nur will ich lieber nichts mehr von dir sehen,

und da es nicht an mir ist, wegzugehen,

so lebe wohl und troll dich deiner Wege!

 

 

ZaunköniG:

 

Wer spricht mir Dir? Fühlst du dich angezogen?

Du gähnst mich an... Ich glaub du bist bekifft.

Die Sätze ziehen sich wie schleichend Gift -

Um wach zu werden gibt es andre Drogen!

 

"Ich mag nicht" stöhnen alle, ach: gelogen!

Was ist das für ein Heim-und-Herd-Komplex?

Ihr habt doch alle nur zu wenig Sex,

so artig, (tutzi, tutzi...) wohlerzogen

 

und keinen Schimmer, was ihr so verpasst.

Zwar klebt es, euer Wort-Ejakulat,

doch fehlt ihm ganz Entscheidendes: Die Tat!

 

Man müßte Mitleid haben, denn ihr haßt

nur das, was ihr nicht kriegen könnt, (So ist es!)

Versucht's auch gar nicht erst, denn, ja, ihr wisst es!

 

 

Claudia Sperlich:

 

O Troll, o Troll! - Fast rief ich: Gottogott!

Es ist, wie du dich brüstest, kaum zu fassen.

Kannst du nicht es, statt wieder einen, lassen?

Das Zauberwort mit Doppel-T heißt flott.

 

Ich werd vermutlich ohne das erblassen,

was dir so wichtig scheint im Lebenstrott.

Ich find dich liebenswert wie ein Schafott

und ahne: deinesgleichen gibts in Massen.

 

Zwar traurig, doch normal die Langeweile,

die du verbreitest (machen das doch viele).

Mich ärgert nur, daß deine Kinderspiele

 

hier Raum belegen, der gebührt dem Dichter.

An jedem Ort der Welt ist das Gelichter

sehr stark und hat im Denken keine Eile.

 

 

 

ZaunköniG:

 

Abgang des Trolls

 

"Im Denken", ach, das ist ja wohl der Kracher!

Seid ihr auch selten, sag ich "selten dämlich".

Stellt man uns gegenüber, habe nämlich

Ich auf meiner Seite alle Lacher.

 

Glaubst du, daß ich um meinen Abgang schacher?

So siehst du aus, so schreibst du denn auch: ziemlich

enthoben, selbstgefällig und bequemlich.

Auf hundert Denker gibts nur einen Macher!

 

Meine Riemen wäre dir bestimmt ein Schock,

Greig dir für's erste selber untern Rock.

 

Ach was, schreib weiter deine Verse für

die Tugenden, die Schmetterlinge, Elfen;

 

Ich hab's gemerkt: Dir ist nicht mehr zu helfen.

Das Leben aber wartet vor der Tür!

 

 

 

Claudia Sperlich:

 

Dem Troll zum Abschied

 

Mein Leben, Tröllchen, wartet eben nicht.

Mein Leben wird von mir gelebt, und gerne!

Ich denke, liebe, fliege an die Sterne -

und jeder Tag bringt mir ein neues Licht.

 

Von dir, du rußig trübe Stallaterne,

kommt nicht genug für mich. Du armer Wicht

übst recht erfolgreich geistigen Verzicht -

sei mir gegrüßt aus möglichst großer Ferne.

 

Du lebst von dem, was zwischen deinen Beinen,

und mag dir das auch sehr beträchtlich scheinen,

so ists für mich, die Bessres kennt, nicht wichtig.

 

Für dich ist deine Lebensform wohl richtig,

doch ich bin zu was anderem geboren:

Ich leb von dem, was zwischen meinen Ohren.

 

 

 

 

ZaunköniG                           Magistri Echardi: Quaestiones Parisienses 1

* 1972

© beim Autor

Ist Gottes Erkenntnis sein Sein?

 

 

Es scheint, Erkenntnis geht dem Urbild nach,

wogegen Gottes Sein der Anfang ist.

Doch wer auf die Art urteilt, der vergißt,

daß jedes Abbild, bunt und mannigfach,

 

in Gott, der allen Dingen Ursprung war,

enthalten ist. Er brachte Raum und Zeit

hervor aus seiner Unermesslichkeit.

Im Anfang war er einfach, singular;

 

Nicht anders kann ein Anfängliches sein

und alles Folgende in sich enthalten.

Erkenntnis ist sein Sein und ist sein Walten,

 

denn was wir durch die Zeit seh'n ist nur schein-

bar mannigfach: Aus sich heraus ist keines.

In Gottes Singularität ist's Eines.

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Übertragung des Kellerduells

* 1972

© beim Autor

 

"...Der Zehner wird gefährlich und spielt schlau

die Flanke ins zentrale Mittelfeld:

Ein Doppelpass und Schuß!" - Der Keeper hält,

schlägt ab, der Ball fliegt weit. Nun kontert Blau:

 

"Wo ist die Deckung? So ein Hühnerhaufen! -"

- Man kann's auch vor dem leeren Tor vergeigen.

Der Club droht nun tatsächlich abzusteigen,

läßt sich zuhause schon den Schneid abkaufen.

 

"Zum Glück wurd nach dem Einwurf Abgepfiffen"

Die Couch wird hart, wie die Reservebank:

Der Sportdirektor kommentiert zerknautscht

das Spiel: "Man hat anscheinend nicht begriffen,

worum es geht." Nochmal der Torschuß (Autsch!")

und ein frustriertes Jungtalent zieht blank.

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Favoritensturz

* 1972                                                                   

© beim Autor                                                      Eisschnelllauf: Teamvervolgung der Damen

Halbfinale gegen die USA in Vancouver 2010

 

 

 

Ja ist es denn: der deutsche Zug holt auf -                                      

Sie überholen nun die Läuferinnen

der USA - Die deutschen wechseln innen...

Nun wird es doch der souveräne Lauf.

 

 

Doch was ist das! Da hatte Anni kurz

Probleme, eingangs in der letzten Runde.

Sie hat den Anschluß nocheinmal gefunden...

Die letzte Kurve! - Schlußspurt! Nein - der Sturz...

 

                                                                                             

kurz vor dem sicher eingefahrnen Sieg.

Trotz ihrem Knie bekam sie ihre Chance,

dann wurden ihr hier doch die Beine weich.

 

 

Was geht nun in ihr vor, wie sie da liegt?

"Ich hab's verpatzt - Nur noch der Lauf um Bronze..."

Dann sieht sie aufs Tableau: Mein Gott, e s...r e i c h t!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


ZaunköniG                           Im Dienst der Wissenschaft - post mortem

* 1972

© beim Autor

 

 

 

"Das Risiko für Darmkrebs wird vererbt",

sagt's, greift der Unbekannten in den Schritt,

"dort, schauen sie am plastinierten Schnitt:

Wir haben hier den Tumor blau gefärbt...

 

Vergleichen Sie einmal, hier zwei Gesäße:

Das Krankheitsbild in zwei verschiednen Phasen.

Die Knubbel hier, das sind schon Metastasen

und ungeordnet wuchern die Gefäße...

 

Doch weiter. Kommen wir zu unserm Star:

Man hat für uns zwei Körper arrangiert

(Die waren auch im Leben schon ein Paar)

zu zeigen, was beim Liebesakt passiert.

 

Ja, Wissenschaft kann spannend sein, nicht wahr!

Wer sich nun für das Studium interessiert..."

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Edvard Munch: Das Biest

* 1972

© beim Autor

Sie braucht nur abzuwarten, sitzt nur da

und schaut dich an. Du machst dir deinen Reim

auf ihren Blick und ihr Medusenhaar.

Sie hält dir nichts verborgen, nichts geheim,

und bleibt doch unbegreiflich, ja sogar

die Nacktheit zwingt ihr keine Blöße ab.

 

Dort sitzt sie. Niemand käme ihr nun nah,

stieß in dies Fluidum, das sie umgab.

Schon stürzt es tief in dich hinein und treibt

mit Mondesschwere in dir um und um.

 

Was glaubst du, was aus der Begegnung wird?

Kein Aufschrei, der dich retten könnte: stumm

saugt dir ihr Blick das Leben aus dem Leib,

das ihr auch ohne dich entgegenschwirrt.

 

 

 

 

ZaunköniG                                       Nipplegate 2004

* 1972

© beim Autor

Beim Sport-Event 04, dem Super-Bowl,

bringt das Begleitprogramm das Volk in Rage:

Blitzt da nicht eine Brust aus der Korsage!?

Ein medienpolitisch böses Foul. -

 

Die Reaktionen puritanisch, wirsch:

Der Fall gehört vors Oberste Gericht!

Derweil der Sender Besserung verspricht,

bedauert diesen "Unfall" und zerknirscht

 

schwört eine Branche Sexual Content

fast kleinlaut ab. Doch in der Yellowpress

verbeitet sich das Bild als "Dokument

des ethischen Verfalls" Skandal! Indes,

als Folge dieser kleinen Episode

kommt Nipplepiercing plötzlich schwer in Mode

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Grenzgänge 1984

* 1972

© beim Autor

Auf Klassenfahrt in Travemünde war

grad Grenzbesichtigung auf dem Programm,

doch ehe man zu Zaun und Wachturm kam

ging es am Strand entlang - hier FKK.

 

Für uns war sowas neu und - sonderbar.

Wir gingen brav in Zweierreihen, stramm

den Blick nach vorn. Wir fühlten beinah Scham -

An jeder Düne lauerte Gefahr:

 

Jetzt blos nicht auffall'n - "Glotz da nicht so hin!",

begannen erst im Lager aufzutauen.

Da lagen manche lockren Sprüche drin.

Wir feixten über diese Nackedeis:

"Was die im nahen Wald wohl tun? - Wer weiß!"

und neideten doch fast, was die sich trauen.

 

 

 

 

ZaunköniG                                                                                                                                                 Großwildjagd

* 1972

© beim Autor

 


Was ist dem Grosswildjäger schon ein Hirsch,

und sei's ein Vierzehnender: Wahrer Sport

misst sich am Größten, und so zieht's ihn fort

nach Afrika auf Elefantenpirsch.

 

Acht Meter zehn vom Rüssel bis zum Schwanz!

Dem hohen Herr'n war es nach großer Tat:

Im Kampf, wie David gegen Goliath,

erlegt er seinen Gegner auf Distanz.

 

Ein Schuß nur, und schon taumelt der Koloss,

er brüllt wild schnaubend auf bevor er fällt -

Da steht der Jäger, lässig wie am Tresen,

Potzzapperlot, ist das 'ne Jagd gewesen!

Nun ist die Beute allerdings zu groß,

daß man den Fuß in ihren Nacken stellt,

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Der ultimative Klick

* 1972

© beim Autor

Beim letzten Ausflug der ersehnte Klick!

erstaunlich schmal, und elegant gefleckt,

so lässig in der Gabel hingestreckt

wie es nur Katzen können und ein Blick

voll überlegnen Lächelns. Etwas träge,

wie sie in greller Mittagshitze döst,

doch alle Glieder an ihr sind gelöst...

 

Ich stehe noch nicht gut, - noch etwas schräge

die Perspektive: Jetzt nur noch zwei Schritte

nach vorne, - Ja, so bleiben -

 Lächeln bitte!

So wird sie sich vielleicht nie wieder zeigen -

Der goldne Schnitt, so wie es sich gehört -

Nur eines was aus diesem Winkel stört:

Die Fotoapparate in den Zweigen...

 

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           What a smile!

* 1972                                                    Die Mona Lisa 1963 in Washington und New York

© beim Autor

 

"Oh boy", in großen Lettern," what a smile!

klingt es fast messianisch in der LIFE.

Die Neue Welt ist für die Schöne reif

und pilgert nach D. C., das Bild wohlfeil

als Imageträger der Kulturnation,

der alten wie der neuen: "pretty wonder"

Als Lächeln selbst erschien die Gioconda

auf ihrer transatlantischen Mission.

 

Den Louvre-Kuratoren war nicht wohl

dabei, jedoch entschied es Charles de Gaulle,

verzaubert von der jungen Kennedy.

So kam da Vincis stumme Poesie

sogar in diplomatische Gefilde;

doch gut auch für die Kunst. - Sie lächelt milde.

 

 

 

 

ZaunköniG                           Lesser Ury: Berliner Straßenszene

* 1972

© beim Autor

 

 

 

Der Tag hat Stil. Besonders gilt mein Lob

dem Regen, der ihn seichten Niederungen

des Alltags just mit Eleganz enthob:

Sogar der Sonne hat er abgerungen

nicht allzu stolz herabzublicken

und selbstlos dem Moment allein zu dienen.

Tatsächlich scheint sie sich grad anzuschicken

herabzusinken, wo die Limousinen

bereitstehn, aufpoliert und mit Chauffeur.

 

Die Lindensilouhette weich verschwimmt;

Die Dame nimmt vom Regen kaum Notiz;

Den Schirm trägt sie als Teil der Haut Coteur,

als ob die Sonne ihr (Nein, ganz bestimmt!)

servant zu Füßen liegt als goldnes Vliess.

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                                                                                      Das neue El Dorado

* 1972                                                    Telestichon

© beim Autor

 

DIE SUCHMASCHINE 1? DAS HAT SCHON KLANG

EIN GUTES STICHWORT IST DAS A UND O

DIE SUCHE GLEICHT MODERNEM DOMINO

VON LINK ZU LINK IM WWW ENTLANG

 

DER GOLDNE PFERDEKOPF ALS ANSTECKNADEL;

DASS KEINE RELEVANTE INFO FEHLE

DIE 17 HIPPIES - NEUE SONGS MIT SEELE;

DOCH NOCH EIN LINK ZUM ALTEN INKAADEL.

 

DANN DIE MUSIKBAR AUF ST. PAULI UND.

NOCH MARIACHI (BAND AUS MEXICO);

DIE WESTERNSTADT TEMPLIN; EIN MUSS FÜR BIKER;

DIE KAPSTADT-TOURS - DOKUMENTIERT BY LEIKA.

DU GOOGLEST IN SEKUNDEN FUND AUF FUND;

MAN FINDETS ÜBERALL UND NIRGENDWO.

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Brautflug

* 1972

© beim Autor

Er liegt in der Luft - Ein gewitterschwangerer ..Aufbruch ins Blaue.

Auf warmer Brache: Ein ausgeklügelter Bau; Speichel und Krume

locker angehäuft, zwischen Wegerich Gräsern ..und Flockenblume,

dort noch ein Häuflein - und noch eins, ungezählte ..Ameisenbaue.

 

Hinaus, nur hinaus - auf ein geheimes Zeichen ..schwärmt ein Gewimmel

über Stock und Stein. ..Das große Krabbeln beginnt. ..Ein hektischer Tanz,

Flügelgezerre - Ungeduld in den Gliedern - asphaltschwarzer Glanz.

Ein Drohnenleben.. nur für diesen einen Flug.. am tiefen Himmel.

 

Völkerwanderung: - Was fliegen kann, erhebt sich, .. dringt allenthalben

auf die Halmspitzen.. und schraubt sich in die Höhe. - Königinnentag.

Umschwärmt und umschwirrt - Liebestoll aufwärts taumelnd - Ein Fest für Schwalben

 

und ein Neuanfang. - Die Flügel abgebissen - in Wiese und Hag

zehrt sie sich fast aus, - wird, wenn sie es überlebt - Mutter der Nation

bis im nächsten Jahr.. die neue Generation.. auffliegt und davon-

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Ennio Morricone: Extasy of Gold

* 1972

© beim Autor

Bald das Gegrummel der Trommeln verstummt: Nur ein einziger Ton

So als erwartetest Du - längst schon die Ohren gespitzt -

Solch einen Morgen und horch - Klarinettenklang hellzwitschernd sitzt

rings in der Luft. Das Klavier spielt eine Lenzimpression,

 

"Marsch!" spielt die Trommeleskorte, Gesang in der Dämmerung lag,

Schwebende Geigen, der Chor: schwillt mählich an in ein Raunen -

Jetzt ist der Augenblick, jetzt steigen ein die erwachten Posaunen,

wetteifernd, hastig und laut. Pauken von fern, Schlag auf Schlag.

 

Durchatmen! - Nur diesen kurzen Moment... Dieses Zittern versteigt

auffordernd sich in Gewalt, bald übertönt den Sopran

Ein infernalischer Bläsersturm: anschwellend, abschwellend, vorn:

Helle Fanfaren im Takt, hinten verhalten das Horn

blendet den Trubel kurz aus wie es Witterung aufnimmt. Da zeigt

jedes sich Hals über Kopf, taumelnd im gierigen Wahn.

 

 

 

 

ZaunköniG                           John Everett Millay: Ophelia

* 1972

© beim Autor

 

 

 

Es ist kein guter Ort hier unter Weiden,

wo das Gewässer trübe Anteil nimmt.

Dort nisten Nesseln im Geäst, dort schwimmt

ein Teppich Hahnenfuß. So wie sich seiden

am andern Ufer Rosen wanden, fanden

sich in den Händen Maßlieb und Violen,

Vergissmeinnicht und Mohn beinah verstohlen

zum Brautkranz, ach - die fröhlichsten Guirlanden:

 

Sie lösen sich. Dem Wasser abgelauscht

legt sich das Haar in Wellen und ertrinkt,

wie sich das Kleid ein letztes Mal noch bauscht;

Ein sich Ergeben, das sich unbedingt

an seinem eignen Untergang berauscht

bevor es schwer wird und zu Grunde sinkt.

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                          

* 1972

© beim Autor

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                          

* 1972

© beim Autor